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Freitag, 10. Juni 2011

Die Freudsche Couch - Die Muttis und die Vatis

Im konservativen Umfeld meiner kindlichen Wahrnehmung war die Welt ordentlich zweigeteilt. Es gab die Muttis und es gab die Vatis.

Die Muttis kümmerten sich liebevoll um die Kleinen, hatten bestenfalls einen Halbtagesjob, der das Haushaltsgeld aufbesserte und das eine oder andere schicke Outfit ermöglichte. Die Muttis buken Brot mit zuwenig Salz, strickten Pullis mit Norwegermuster und drängten einem diese nachher auf. Sie schmierten geduldigst unsere Pausenbrote, hatten den Haushalt einigermaßen im Griff und die Nährwerttabelle auch. Erteilten Fernsehverbot und verhängten Hausarrest. Hielten nebenher ihre Fremdsprachenkenntnisse à jour und trafen sich einmal wöchentlich mit der besten Freundin zum Tennis. Klebten Pflaster auf wunde Knie, waren mitfühlend. Tanzten nie bis zum Morgengrauen und schon gar nicht aus der Reihe.

Die Vatis hingegen hatten wichtige Jobs und Geschäftspartner in Texas und Tokio. Und den dazu passenden Vielfliegerstatus bei der Lufthansa. Kümmerten sich nicht wirklich um ihre Kinder. Und wenn, dann um sie im Cabrio durch Florida zu kutschieren oder ihnen im vorpubertären Alter mit einem "Sags ja nicht der Mutti!" am Strand eine Piña Colada mitzubestellen. Die Vatis trauten sich was. Kombinierten Smokingjacketts mit Bermudashorts, widersprachen Autoritäten, benahmen sich gelegentlich bewusst daneben. Den Vatis war wenig peinlich. Feierten feucht-fröhliche Parties und boten sich gegenseitig bei Fahruntüchtigkeit die Gartenliege an. Die Vatis erlebten Abenteuer und hatten die Sache im Griff.

Ich identifizierte mich von Kindesbeinen an stark mit den Vatis. So wollte ich auch werden! Doch leider war ich ein Mädchen. Also nicht die beste Voraussetzung für den Vati-Lifestyle! Ich beobachtete und entschied, die für mich wahrnehmbaren Vati-Eigenschaften kopieren zu müssen. De facto hiess dass, in der Schule gut sein, Durchsetzungsvermögen entwickeln, Karriere zu machen. Weibische Gefühle unterdrücken, mich keinesfalls an einen Mann zu binden oder mir gar Lüttens auf's Auge drücken zu lassen. 


Leider war mir mit meinen neun Jahren nicht bewusst, welchen Weg ich da einschlug.

7 Kommentare:

  1. Wenn DU sagst, dass 27 kein Alter ist, dann bin ich gleich noch mal etwas froher :) Und diesen Text mag ich. Irgendwie ist er gleichzeitig distanziert und persönlich.

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  2. vielen Dank dir :) Gibt´s bei dir keine Erdbeerfelder?

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  3. Sehr schön geschrieben! Habe mich vom Ehrgeiz und Karriereverlangen auch sehr an meinen Vater orientiert. Allerdings habe ich mich was die Gefühlswelt angeht und das Verhalten gegenüber Freunden und Mitmenschen lieber an meiner Mutti orientiert. Ich denke die richtige Mischung machts.

    Liebe Grüße

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  4. Hast Du schon mal Mad Men gesehen? Da gibt es die klassischen Muttis und Vatis. ;-)

    LG und ein schönes Wochenende wünsche ich Dir

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  5. Sehr interessant! Mein Eindruck war immer, dass die Muttis zwar nicht, oder nur halbtags arbeiteten, dafür aber zu Hause die Hosen anhatten.

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  6. Hallo Frau Winkelmann :D
    Ja, die mache ich selber, vielen Dank für das nette Kompliment :)
    Ich wünsche Dir einen entspannten Abend,
    Sarah.

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  7. Frau Winkelmann,
    das haben sie wunderschön geschrieben.
    27 Jahre - da hast du noch soviel vor Dir.
    Ich habe mich auch für die Karriere entschieden.
    Wollte nich in das klassische Frauenbild gepresst werden. Ich weiss nicht, ob ich was verpasst habe.
    Liebe Grüße
    Irmi

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